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Dauerhafte Zeiten des Wandels


24. September 2024

Helfen, das Gemeinwesen im ländlichen Raum zu stärken

THALLWITZ - Auf Einladung des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) kamen am 5. September gut 90 Interessierte zur Fachtagung „LEADER* und Kirche – Synergien in der ländlichen Entwicklung“ im KulturGut Thallwitz (Landkreis Leipzig) zusammen.
LEADER* – das europäische Entwicklungs- und Förderprogramm für den ländlichen Raum - und Kirche haben viele Schnittmengen und Verbindungen in ihrem Wirken für ländliche Räume im Wandel. Beide sind nahezu flächendeckend präsent. [*Liaison entre actions de développement de l'économie rurale (franz.) heißt, „Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft“]

Der Bürgermeister von Thallwitz, Thomas Pöge, hob zu Beginn der Veranstaltung den „guten Einklang“ von Heimat, Kultur und Kirche hervor. Der Präsident des Sächsischen Landesamtes, Heinz Bernd Bettig, ging auf die Umbrüche im ländlichen Raum, als auch in der Gesellschaft ein. Sie gelte es zu konstatieren und darauf zu reagieren. So suchten Menschen mit großen Unsicherheiten nach Konstanten. Kirche sei eine solche Konstante – im ländlichen Raum noch viel mehr als in der Stadt, sagte er.
Für Markus Thieme, Referent für Ländliche Entwicklung im LfULG, sei Kirche „Kulturgut, Heimat, Identifikation“. Sie bilde damit eine gute Schnittmenge in den „dauerhaften Zeiten des Wandels“.

Impulsbeiträge zu Kirche als öffentlicher Raum

Im ersten Impuls in Hinführung zum Thema der Fachtagung richtete Elisabeth März, Theologische Fakultät der Universität Leipzig, vom Institut für Praktische Theologie und darüber hinaus in der Forschungsgruppe Sakralraumtransformation tätig, den Blick auf die Potentiale der Sozialraumorientierung. Unter der Überschrift „Kirche im Wandel – Sakralräume als öffentliche Orte?“ skizzierte sie die im Osten Deutschlands vorherrschende hybride Nutzung von Kirchen. Kirchen seien als offene und öffentliche Orte erlebbar, sie sind Ankerpunkt lokaler Erinnerungskultur und Identifikation und werden vielfältig bereits als öffentlicher Raum genutzt. Wenn der Sozialraum als Partner statt als Zielgruppe verstanden und mit dem auf Beteiligung ausgerichteten Engagement der Zivilgesellschaft gerechnet werde, profitiere das Kirchgebäude und die Gemeinde von einer Öffnung in diesen Sozialraum hinein, pragmatisch wie geistlich.

Dr. Dirk Martin Mütze, Direktor der Evangelischen Heimvolkshochschule Kohren-Sahlis und zugleich Vorsitzender des Sächsischen Landeskuratoriums für den ländlichen Raum, bescheinigte in seinem Impulsvortrag „Das Gemeinwesen im ländlichen Raum stärken – die Perspektive der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens“, dass es uns als Kirche „noch immer schwerfällt, außerhalb unserer Räume Kirche zu sein“, so Dr. Mütze. Nach seiner Beobachtung genieße die Kirche im Dorf nach wie vor hohe Akzeptanz.

Jedoch werde mit der Annahme einer öffentlichen Förderung zum bausubstanziellen Erhalt eines Kirchgebäudes auch die Verpflichtung eingegangen, dieses Gebäude für das Gemeinwesen stärker zu öffnen. Ihm sei es nicht bange um den erforderlichen Wandel in Kirche und der stärkeren Orientierung und Ausrichtung am Gemeinwesen – ganz gleich, ob im ländlichen oder städtischen Raum. Das könne auch eine schattige Bank auf dem Friedhof sein, die als gegenständlicher Ort der persönlichen Trauer zum Verweilen und darüber hinaus auch zum Gespräch einlade.

Pfarrer Matthias Taatz, seit 1991 leitender Pfarrer im Pfarrbereich Schenkenberg (Evangelische Kirche Mitteldeutschland) nahe Delitzsch, benannte die Synergieeffekte seiner unterschiedlichen Haupt- und Ehrenämter: 25 Dörfer, 16 Kirchen, 15 Friedhöfe usw. sind als Pfarrer im Blick zu haben. Daneben bekleidet er seit nunmehr zehn Jahren das Ehrenamt als Vorsitzender der Lokalen Aktionsgruppe (LAG) Delitzscher Land, zudem als Vorsitzender des bestehenden Trägervereins Delitzscher Land e.V. und gleichzeitig als Mitglied des Entscheidungsgremiums im LEADER-Gebiet Delitzscher Land. Bei LEADER habe er gelernt, dass die vom Freistaat Sachsen angebotenen Dorfwerkstätten durchaus sehr konstruktiv sein können und er dieses „Hinüberziehen“ in Kirche, diese Verschränkung durch die Ausübung unterschiedlicher Ämter als sehr schön empfinde. Er möchte das kirchliche Netzwerk in das kommunale Netzwerk hineintragen, so dass sie sich gegenseitig „befruchten“.

In einem weiteren Impuls brachte es Dr. Tobias Michael Wolf, Abteilungsleiter und stellvertretender Landeskonservator im Landesamt für Denkmalpflege (LfD), aus landesdenkmalpflegerischer Perspektive auf den Punkt. So sei der Freistaat Sachsen mit seiner besonders hohen Dichte an rund 101.000 Kulturdenkmalen besonders reich an historischen Orten und historischen Zentren. Kirchen würden nach seiner Ansicht wichtige Akzente in der Siedlungsstruktur wie in der Ortsansicht setzen. Kirchen als Teil der sächsischen Denkmallandschaft seien daher ein steinernes Sinnbild, sowohl für Kontinuität als auch für ständigen Wandel.

Den auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen stehenden rund 1.800 Kirchen und Kapellen bescheinigte Landeskonservator Dr. Wolf einen besonders guten baulichen Zustand und dankte zugleich den Kirchgemeinden, der kirchlichen Verwaltung, den Fördermittelgebern aus Bund und Land sowie weiteren privaten Stiftungen und Geldgebern für ihre jeweiligen Beiträge zur Erreichung dieses Zustands. Im Freistaat Sachsen genieße man das Privileg, noch keinen Zeitdruck aus der Bausubstanz der Kirchen heraus zu haben. Als Schlüssel dieses Erfolgs nannte Dr. Wolf die etablierte und vertrauensvolle Kommunikation zwischen den kirchlichen Eigentümern von Kulturdenkmalen, die sich in einer offenen und frühzeitigen Einbindung und Abstimmung mit der Denkmalpflege zeige.

Podiumsdiskussion

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion am Mittag unterstrich Oberlandeskirchenrätin Carmen Kuhn, juristische Dezernentin für Bau-, Grundstücks- und Friedhofswesen im Landeskirchenamt, ihre Freude über den guten Bauzustand sächsischer Kirchen und verband damit den Dank an alle daran Beteiligten, die als Eigentümer Verantwortung für die Kulturdenkmale tragen. Kuhn: „Mittelfristig planen heißt auch wieder bauen. Die Bedingungen dafür werden anspruchsvoller. Kirchgebäude gehören in die Allgemeinheit. Die Kirche gehört ins Dorf wie gleichermaßen zum Stadtbild – und sie braucht den finanziellen Rückhalt Vieler“.

Der Referatsleiter im Sächsischen Staatsministerium für Regionalentwicklung (SMR), Andreas Grieß, bewertete den Umstand, dass weit über 90 Prozent der geförderten LEADER-Vorhaben baubezogen seien: So sehe er das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Positiv, weil Baukultur zur Genetik des ländlichen Raums im Freistaat Sachsen gehöre und Tradition bewahre wie in die Zukunft trage. Herausfordernd, weil angesichts der über 3.000 Dorfgemeinschaften, die es im Freistaat Sachsen gebe, nach wie vor eine große Verantwortung bestünde, sich dieser Dorfgemeinschaften anzunehmen. Für Kirchgemeinden sieht Referatsleiter Grieß ein großes Potenzial, Verantwortungsgemeinschaften zu initiieren und zu bilden, Beteiligung gut zu organisieren und dazu das vom SMR angebotene Instrument der Dorfwerkstätten zu nutzen.

Workshops und Fazit

Nach dem Mittag konnten die Teilnehmenden unter vier vertiefenden thematischen Workshops auswählen. In jeweils rund 90 Minuten bestand die Möglichkeit, die Themen „Kirchliche Bauten zwischen Erhaltung, Neu- und Umnutzung“ (WS 1), „Kirchliche Bauten als touristische Ankerpunkte“ (WS 2), „Kirche als Partner in der Daseinsvorsorge“ (WS 3) und „Kirchgemeinden im LEADER-Prozess“ (WS 4) näher zu betrachten und unterschiedliche Perspektiven von LEADER und von Kirche auf das jeweilige Workshop-Thema zu richten. 

In der sich anschließenden Zusammenfassung zum Abschluss der ganztägigen Fachtagung wurden wichtige Impulse aus den Workshops zusammengetragen. Im Fazit waren sich alle einig: LEADER und Kirche haben vielfältige Schnittmengen. Das bestätige auch das rege Interesse an der Veranstaltung in Thallwitz. „Bleiben Sie miteinander im Gespräch und gehen Sie aufeinander zu,“ bat Markus Thieme vom LfULG die Vertreterinnen und Vertreter aus den 30 LEADER-Gebieten im Freistaat Sachsen als auch die kirchlichen Teilnehmenden.
Ausblickend plane das LfULG eine Dorfbaukulturwerkstatt zu Friedhöfen als auch eine Veranstaltung zu Pfarrscheunen.

Vor und nach der Tagung konnte die im August 2024 zum dritten Mal geweihte Kirche Nischwitz als „Kulturkirche mitten im Dorf“ besichtigt werden.

Podiumsdiskussion am Mittag (v.l.n.r.: Pfarrer Matthias Taatz, Dr. Tobias Michael Wolf (LfD), Elisabeth März, Markus Thieme (LfULG), Dr. Dirk Martin Mütze, Andreas Grieß (SMR), Oberlandeskirchenrätin Carmen Kuhn
Grußwort des Präsidenten des LfULG, Heinz Bernd Bettig
Blick in eine Workshop-Runde im KulturGut
Weitere Projektbeispiele: Pfarrscheune Mildenau und Pfarrhaus Langenwolmsdorf in LEADER-Förderung
Kirche Nischwitz (Ev.-Luth. Kirchgemeinde Thallwitz-Lossatal), die künftig als Kulturkirche mitten im Dorf genutzt werden soll

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