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Kirche und Kultur

Schlag des Gewissens

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Manche Glocken entkamen dem Kriegsschicksal

Im Sommer 1948 begann die Freigabe der ersten Glocken in Sachsen

Wenn in diesem Jahr die Kirchenglocken zu Gottesdienst und Gebet erklingen, so sind unter den 3.841 sächsischen Glocken auch 420 Bronzeglocken dabei, die vor 70 Jahren nach der Rettung vor dem Einschmelzen, die Sammellager verließen.

Nach einem Erlass vom 15. März 1940 wurden auf Geheiß vom damaligen Generalfeldmarschall Hermann Göring auch in Sachsen Bronzeglocken beschlagnahmt, um sie „unverzüglich der deutschen Rüstungsreserve dienstbar zu machen“. Es handelte sich dabei in der Klassifizierung um A-, B-, C und D-Glocken, die in ihrem Alter immerhin bis zur Reformation zurückreichten. Nur die ältesten der denkmalgeschützten, vor 1539 gegossenen Glocken (C, D), verblieben vorerst. So wurden 1.800 Glocken entweder direkt zur Verhüttung verbracht (A) oder sie wurden einstweilen in Sammellager (B, C) zurückgestellt. Die Auswirkungen der Raubzüge auf die Bronzeglocken in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts sind heute noch in über 480 sächsischen Kirchen festzustellen.


Nach Kriegsende kam vor 70 Jahren die Befreiung der Glocken aus der Internierung

Bald nach Kriegsende 1945 erinnerte man sich an den Verlust der Glocken und es dauerte nicht lange, bis die gesicherte Kunde nach Dresden kam, dass es in Hamburg ein großes Glockenlager („Glockenfriedhof“) gebe. Das Evangelisch-Lutherische Landeskirchenamt, selbst in der Dresdner Südvorstadt ausgebombt, wurde aus den Ausweichquartieren aktiv. Liselotte Hunger, für „Sonderaufgaben“ Anfang Juni 1946 im Landeskirchenamt eingestellt, fuhr im August 1947 nach Hamburg-Klein-Flottbek zum „Custodien for Church-bells and statues“ (Verwahrung kirchlicher Glocken und Denkmäler).

Das 27-jährige Fräulein Hunger aus Dresden erwartete ein Glockenlager mit tausenden übereinandergestülpter oder herumliegender Glocken. Hunger hatte jetzt auf die mit Ölfarbe gemalte Kennung 10 für den Gau Sachsen zu achten, die darüber hinaus ergänzt war mit Zahlenangaben zur entsprechenden Amtshauptmannschaft, einer laufenden Nummer und letztlich durch die Klassifizierung (B, C). Die jüngsten A-Glocken, die bis 1850 gegossen worden waren, darunter drei Frauenkirchenglocken, waren damals längst zerschlagen und eingeschmolzen.

Hunger identifizierte schließlich 420 sächsische Glocken, darunter eine Domglocke aus Meißen, und stand vor dem Problem, wie diese Bronzemassen über alle Sektorengrenzen hinweg in die angestammten Orte kommen sollten. Wie durch ein Wunder waren sich trotz Zeiten des beginnenden Kalten Krieges die Alliierten einig, der Überführung der Glocken aus den Lagern in die Heimatgebiete zuzustimmen und sogar Transportmittel zur Verfügung zu stellen. Für den organisatorischen Ablauf war das Hilfswerk der Evangelischen Kirche mit verantwortlich. In Dresden angekommen, konnte Hunger erleben, wie aufgrund ihres Berichts vom November 1947 einiges in Bewegung kam.

Am 24. Mai kam das erste Schiff in Dresden-Friedrichstadt an und es gab eine kleine Feier mit dem damaligen Dresdner Superintendenten. Die DEFA machte Aufnahmen für die Kino-Wochenschau „Der Augenzeuge“. Die zuvor angeschriebenen Kirchgemeinden meldeten sich in dieser Zeit beim Amt für Innere Mission in Radebeul, um nach einem Befehl der Sowjetischen Militäradministration (SMA) vom 29. April die Wiedergutmachung und die Herausgabe zu beantragen. Die Freigabe und Übergabe erfolgte dann von Frühsommer 1948 bis 1951.

Von einem Bericht über die Kirchgemeinde im ostsächsischen Bischofswerda ist bekannt, dass ein „großer Jubel“ über die drei erhaltenen Glocken zu vernehmen gewesen sei. Mit einem Triumphzug seien die auf einem „blumengeschmückten Lastwagen mit wehender Kirchenfahne“ befindlichen Glocken nach Bischofswerda gefahren worden. In volksfestlicher Stimmung konnten bereits ab 9. August 1948 die Maßnahmen zum Hochziehen der Glocken beginnen und am darauffolgenden Sonntag läuteten alle vier Glocken wieder gemeinsam.  

Viele Kirchgemeinden warteten allerdings seit Kriegsende vergebens auf ein Zeichen ihrer vermissten Bronzeglocken, denn entweder waren die 1.800 beschlagnahmten Bronzeglocken für Rüstungszwecke eingeschmolzen, nach Kriegsende als Ersatz an Kirchen Westeuropas überführt oder eingeschmolzen worden. Kleinere Bronzeglocken wurden auch schlichtweg Raub von Buntmetall-Dieben.

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Qualitätsprobleme bei Glocken bereits seit der Industrialisierung

Die fehlenden Bronzelocken wurden nach dem Weltkrieg vielfach durch Eisenhartgussglocken ersetzt, und so mancher Glockenstuhl weiterhin aus Stahlprofilen konstruiert. Ursprünglich war er aus Laub- oder Nadelholz, an dem die Glockenkronen an Holzjochen befestigt waren. Der Ersatz führte zu Problemen, denn diese Eisenhartgussglocken sind nur zwischen 60 und 80 Jahre zu gebrauchen, übertragen die Schwingungen ungedämpft auf den Stahlglockenstuhl und weiter zur Bausubstanz. Sie besitzen zudem einen vergleichsweise minderwertigen Klang.

Ab 1986 begann die sächsische Landeskirche über das Beratungsgremium des Deutschen Glockenwesens Fachleute auszubilden, die dieser Entwicklung entgegenwirken sollten. Immerhin wurden in den Jahren zuvor 1.115 Hartgussglocken aufgrund von Material- und Geldmangel als Notbehelf anstelle von Bronzeglocken aufgezogen.  

Abgesehen von dieser Entwicklung kam der Qualitätsumschwung schon wesentlich früher, denn bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts kam die „Mode“ der Stahlformgussglocken auf. Außerdem wurden auch bei der sächsischen Armee um die Zeit der Einigungskriege ab 1866 die Kanonenrohre („Stücke“) aus Bronze durch solche aus Stahlguss ersetzt. Die Stück- und Glockengießer verloren mit dem Wegfall des Gusses neuer Bronzegeschützrohre ihre gewinnbringendsten Aufträge. Die Gemeinden wurden deshalb von den Gießern neben der Anschaffung von Stahlformgussglocken zu immer größer werdenden Bronzeglocken „überredet“. Diese neuen Glocken waren allerdings oft dreimal so schwer wie die früheren Glocken in den Türmen, und mit ihnen wurden alleine zwischen 1883 und 1913 durch die Dresdner Glocken- und Kunstgießerei C.A. Bierling 1.000 stählerne Glockenstühle angefertigt.

Dem sächsischen König sind allerdings auch etliche Bronzeglocken zu verdanken, der in „huldvollen“ Schenkungsaktionen nach 1870/71 den Kirchgemeinden erbeutete französische Bronzegeschütze zum Glockenguss zur Verfügung stellte.

Zu der Zeit, als Lieselotte Hunger, die später immer wieder mit anderen Sonderaufgaben beauftragt wurde, nach 40-jährigem Kirchendienst 1987 starb, kam in Glockenfragen das Umdenken. So weiß der Fachbeauftragte für Glockenwesen Christian Schumann, dass die porösen und ebenfalls viel zu schweren und zu großen Glocken zu ähnlichen Problemen führten wie die Stahlformgussglocken. Bronzeglocken waren aber rar und die Gemeinden hatten Wartefristen wie bei einem PKW-Trabant, außer, sie beschafften sich irgendwie die wertvollen Metalle. So besteht die Bronze für Glocken seit Jahrhunderten aus dem gleichen Mischungsverhältnis von 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn.


Nach 1990 wurden bis jetzt 636 Bronzeglocken neu gegossen

Mit der politischen Wende keimte nach 1990 auch in Sachsen die Hoffnung unter den Glockensachverständigen auf, ab sofort bei Sanierungen oder Neubauten an Geläuten solider vorgehen zu können. Tatsächlich konnte ab 1994 die sachsennahe, aber im Land Brandenburg gelegene Gießerei in Lauchhammer damit beginnen, viele neue sächsische Glocken zu gießen.

Außerdem konnten  bisher 630 Eisen- und Stahlformgussglocken abgenommen und 275 neue Holzglockenstühle als Ersatz für vorgeschädigte Stahlglockenstühle von mangelhafter Konstruktionsweise gebaut und zahlreiche historische Holzstühle ertüchtigt werden. Trotz der in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegenen Buntmetallpreise gebe es nach Ansicht der Glockensachverständigen keine Alternative, neben der materialtechnischen Notwendigkeit, auch wegen der Dauerhaftigkeit und Klangschönheit, den herkömmlichen Aufbau von Holzglockenstühlen und der entsprechenden Verbindung mit den Bronzeglocken zu bevorzugen.

Eine Glocke mit Zier und Inschrift - das kann eine Widmung mit Bibelspruch oder Name und Symbol sein - stellt immer eine individuelle Anfertigung dar. So wird keine Glocke von der Stange und auf Vorrat produziert. Die nachweisbaren und heute noch vorhandenen Anfänge liegen in Sachsen bei den 800-jährigen Glocken. In St. Jakobi im vogtländischen Oelsnitz soll die älteste Glocke hängen, die Experten in das 12. datieren. Der eigentliche Ursprung dieser alten Glocke, die übrigens im Rückführungsfund der verschonten Glocken des 1. Weltkriegs als „Findling“ auftauchte, war schon damals ungeklärt, bevor sie die Oelsnitzer Kirchgemeinde erhielt und 1926 in ihr Geläut aufnahm. Aller anderen Glocken im 2. Weltkrieg beraubt, überlebte die große Glocke auf dem „Glockenfriedhof“ in Hamburg und kam nach Oelsnitz zurück.

Um 1200 wird eine Glocke in Collm bei Oschatz datiert und ebenfalls auf das 13. Jahrhundert gehen die „Benno-Glocke“ in der Jakobi-Kirche in Wilsdruff, Glocken in Seußlitz und eine Glocke in Dresden-Wilschdorf zurück. Das zahlenmäßig größte Geläut mit acht Glocken trägt die Dresdner Frauenkirche, die St. Marien in Pirna mit ihren sieben Glocken übertrumpfte. Das einzige Geläut mit sechs Glocken befindet sich im Freiberger Dom. Das mächtigste Geläut mit einer Masse von 28 Tonnen und der größten Glocke mit über elf Tonnen hat die Dresdner Kreuzkirche.
Unter den derzeitig 3.841 Glocken befinden sich immerhin wieder 2.335 Bronzeglocken (61 Prozent) und 1.506 Eisenhartguss- und Stahlformgussglocken.

Wenn in Sachsen die Glocken läuten, dann nur in den Kirchen, in denen auch Andacht oder Gottesdienst stattfindet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Läuteordnung festgelegt, dass nur zu Gottesdienst, Gebet und Fürbitte die Glocken rufen dürfen. Außerdem künden sie Zeit und Stunde und erinnern an die Ewigkeit.

Veranstaltungstipp:

Benefizkonzert in der Kirche von Erlau bei Mittweida zugunsten der beiden neuen Bronzeglocken am 21. Juli um 17:00 Uhr.

Vorhaben Glockensanierung oder Neuanschaffung in der jüngeren Vergangenheit

  • Schwarzenberg – St. Georgen
    Inbetriebnahme des neuen Dreiergeläuts als Ersatz für Eisenhartgussglocken im November 2015

  • Marienberg – St. Marien 
    Weihe und Abschluss der Neuanschafftung von vier Bronzeglocken. Erstgeläut 31. Oktober 2017

  • Strauch bei Riesa  
    Neuer Glockenstuhl mit drei neuen Bronzeglocken 2018 realisiert

  • Neukirchen – Martinskirche
    Neuer Glockenstuhl mit zwei ergänzenden Bronzeglocken. Weihe mit Landesbischof Dr. Carsten Rentzing am 22. April 2018

  • Beerheide (Auerbach)
    Neue Glocke für die Kirche wurde am 24. Juni 2018 geweiht

  • Pretzschendorf 
    Drei neue Bronzeglocken (Indienstnahme Sonntag, 19. August 2018)

  • Schöneck/Vogt. – St. Georgkirche
    Erneuerung des Geläuts in Bronze und Instandsetzung der Glockenstühle
  • Oelsnitz/Vogt. – St. Jakobikirche
    Restaurierung, Instandsetzung des Glockenstuhls und Ergänzung des Glockengeläuts durch Bronzeglocken

  • Crimmitschau - Laurentiuskirche
    Erneuerung des Geläuts in Bronze sowie des Glockenstuhls in Eiche

  • Leipzig – Thomaskirche
    Restaurierung des Glockenstuhls und der Antriebstechnik sowie die Erweiterung des Geläuts 

  • Leipzig – Nikolaikirche
    Restaurierungen und sechs neu gegossene Glocken von dann acht Glocken als Geläut von St. Nikolai

  • Erlau bei Mittweida
    Ersatz zweier Eisenhartgussglocken durch neue Bronzeglocken, Erneuerung Glockenstühle und –joche sowie der elektrischen Läuteanlage

  • Großrückerswalde
    Neuguss eines Bronzegeläuts

  • Pobershau
    Neuguss eines Bronzegeläuts

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